Keine Angst vor dem Kulturschock!

Die spinnen, die Römer! – Oder?

Kulturschock – wenige Begriffe im interkulturellen Bereich haben einen so griffigen, anschaulichen Namen, der sofort Assoziationen weckt – und dabei doch an der eigentlichen Sache vorbei geht.

Bei Schock denkt man unwillkührlich an Autounfall, Zusammenstoß, plötzliche Ereignisse, die einen komplett aus der Bahn werfen.

Aus der Bahn wirft einen ein Kulturschock auch. Allerdings kommt er in der Regel nicht plötzlich, sondern schleichend. Zum Glück ist das Phänomen Kulturschock mittlerweile gut erforscht und man ist ihm nicht schutzlos ausgeliefert. Und das wichtigste Gegenmittel ist, überhaupt einmal von einem Kulturschock gehört zu haben.

Einen Kulturschock erleiden Menschen tendenziell bei längeren Auslandsaufenthalten. Oft setzt er schleichend erst nach einigen Monaten ein. Unter Umständen merkt man den Weg dahin nicht wirklich. (Grafik: Phasen des Kulturschocks)

In diesem Artikel erläutern wir die einzelnen Phasen eines Kulturschocks. Für jede Phase geben wir konkrete und erprobte Hinweise, wie man am besten und geschicktesten mit ihr umgeht. Bevor wir aber die einzelnen Phasen näher betrachten, wollen wir uns das Phänomen Kulturschock genauer ansehen.

Was ist ein Kulturschock?

Auch wenn im Begriff „Schock“ die Plötzlichkeit mitschwingt, tritt der Kulturschock in der Regel nicht direkt am Anfang eines Auslandsaufenthaltes ein. Es ist vollkommen möglich, in kulturell extrem unterschiedliche Gegenden zu reisen, und nicht annähernd einen Kulturschock zu erleiden. Zwar kann auch die erste Begegnung mit einer fremden Kultur eine Art „Schock“ auslösen. Fremdes Essen kann die Gesundheit beeinträchtigen, fremde Sitten und Gebräuche können einen schockieren, und Heimweh kann dazu führen, dass man schnell wieder nach hause möchte. Doch gerade bei kürzeren Aufenthalten in einer fremden Kultur geht dies schnell vorbei und man spricht hier nicht unbedingt von einem Kulturschock.

Vielleicht spricht man besser von einer Kulturkrise, denn das Wort Krise vermittelt eher die zeitlich längerfristige Dimension.

Der Kulturschock lässt sich ganz grob drei Phasen unterteilen: Honeymoon-Phase – Krise – Anpassung/Erholung. Reist der Betreffende nach einer Weile (mehreren Monaten oder Jahren) wieder zurück in sein Heimatland, so kann sich jedoch noch eine weitere Phase anschließen – der Rückkehrschock. Dieser ist besonders tückisch, da er nicht unbedingt erwartet wird. Man durchläuft dabei aber im wesentlichen die gleichen Phasen, wie beim ursprünglichen Kulturschock.

Die Phasen des Kulturschocks

Grob lässt sich der Prozess des Kulturschocks in mehrere Phasen unterteilen:

  • Die Honeymoon-Phase
  • Übergang: Die Ernüchterung
  • Der eigentliche Kulturschock
  • Übergang: Der Aufschwung
  • Die Anpassung

Wie lang die einzelnen Phasen dauern, und wie intensiv sie ausfallen, lässt sich leider nicht vorhersagen – weder für den einzelnen Menschen, noch für den einzelnen Auslandsaufenthalt. Doch es handelt sich beim ganzen Prozess um einen natürlichen psychologischen Prozess, den viele Menschen durchlaufen – und es ist hilfreich, sich dessen bewusst zu sein. So kann man sich mental auf die schwierigen Phasen vorbereiten, und sie genauer einordnen.

1. Die Honeymoon-Phase

Diese Phase tritt in der Regel direkt nach Ankunft im neuen Land auf. Vor allem, wenn man dem Auslandsaufenthalt positiv gegenübersteht, erlebt man diese Phase intensiv. Alles ist neu und aufregend. Vieles wird ggf. als exotisch wahrgenommen. Fremdes Essen, fremde Gerüche, anderes Wetter, die andere Sprache – eine Vielzahl von Eindrücken prasselt auf einen ein. Das Neue wird prinzipiell als aufregend und stimulierend bewertet. Das neue Leben, die neue Stadt und die neue Tätigkeit werden als überwiegend positiv erlebt.

Die Herausforderungen, sich einen neuen Alltag zu schaffen, sind ein großes Abenteuer, aus dem Kraft geschöpft werden kann. Leider hält diese Phase in der Regel nicht ewig an. Nach einer Weile geht sie bei vielen Menschen in eine Phase der Ernüchterung über und man erlebt den eigentlichen Kulturschock.

2. Übergang: Die Ernüchterung

Mit der Zeit stellt man fest, dass einen viele der zunächst als spannend und positiv erlebten Aspekte der neuen Umgebung zu stören beginnen. Das fremde Essen kann nicht über die Sehnsucht nach einem Körnerbrötchen mit Käse hinwegtrösten, die charmante Eigenart der Einheimischen, alles nicht so eng zu sehen, beginnt zu nerven, wenn die Busse nicht pünktlich fahren oder Taxifahrer einen übers Ohr hauen. Die fremde Sprache ist anstrengend und man kann sich nicht so gut ausdrücken, wie in der Muttersprache. Wenn dann auch noch die Familie „nicht rund läuft“ – es Probleme in der Schule gibt, Heimweh, Frust bei de*r Partner*in, die nicht oder nur begrenzt arbeiten kann, dann stürzt die Stimmung häufig massiv ab. Vieles wird als störend und belastend empfunden, und man verklärt in der Erinnerung die Situation im Heimatland.

Oft kommt dazu noch ein verwirrender Aspekt: Man hat seine Sprachkenntnisse zwar verbessert, aber stellt fest, dass man die Menschen trotzdem nicht besser versteht. Im Gegenteil, man nimmt nun viel eher wahr, wenn sie für einen selbst vollkommen unverständliche Sachen sagen.

3. Der Kulturschock

Die Phase des absoluten Tiefpunktes bezeichnet man auch als den eigentlichen Kulturschock. Es ist mittlerweile so viel Zeit seit der Ausreise vergangen, dass die Freundschaften zu Menschen im Heimatland gefühlt abnehmen. Es wird aufwendiger und schwieriger, den Kontakt zu halten, und mühsamer, vom eigenen neuen Alltag zu erzählen – umgekehrt nehmen häufig auch die Nachrichten aus dem Heimatland ab. Gleichzeitig hat man oft noch keinen Freundeskreis vor Ort gefunden, in dem man sich ähnlich eingebettet fühlt, so dass ein Gefühl von Verlust und Einsamkeit vorherrschen kann. Oft fällt diese Phase auch mit einem Anstieg der Anforderungen im Job zusammen – man ist schließlich schon lange genug hier, jetzt wird Leistung erwartet. Doch auch die Rollenerwartungen können kulturell bedingt unterschiedlich sein – was ist die Erwartung der anderen an mich und was erwarte ich von den Anderen? Dies kann von den Erfahrungen im Heimatland komplett abweichen und einen orientierungslos zurück lassen.

Oft geht diese Phase mit körperlichen und psychischen Beeinträchtigungen einher. Orientierungslosigkeit, allgemeines Unwohlsein und sogar Hass auf alles Fremde können Begleiterscheinungen eines Kulturschocks sein.

Es kann helfen, sich in diesem Moment die Kulturschockkurve noch einmal bewusst vor Augen zu halten. Wenn man das Gefühl hat, jetzt wirklich ganz unten zu sein, kann die Hoffnung helfen, dass es bald auch wieder aufwärts gehen wird. Und: Viele Menschen durchlaufen einen Kulturschock. Es handelt sich nicht um ein persönliches Phänomen.

4. Übergang: Der Aufschwung

Diese Phase ist davon gekennzeichnet, dass der*die Betroffene sich bewusst wird, dass er*sie ein Problem hat, mit dem er*sie sich auseinandersetzen muss. Indem man sich bewusst mit seinen Erwartungen und der Realität auseinandersetzt, lässt sich erkennen, an welchen Stellen Kompromisse geschlossen werden können.

Langsam aber sicher verschiebt sich die Perspektive: Nicht mehr die Heimatkultur ist das „Maß aller Dinge“, sondern man gelangt mehr und mehr in die Lage, die neue Kultur zu verstehen und – zumindest teilweise – wertzuschätzen. Man lernt langsam die neuen Regeln und findet sich mehr und mehr in der neuen Heimat zurecht. Oft bildet sich nun auch ein soziales Netz heraus, so dass auch das Gefühl der Einsamkeit vergeht.

5. Die Anpassung

Wenn man diese Phase erreicht hat, ist man wirklich in der neuen Heimat angekommen. Man versteht die Hintergründe für Verhalten, das von den eigenen Gewohnheiten abweicht, und findet oft den ein oder anderen Bereich, in dem einem die neue Kultur der eigenen als überlegen erscheint. Man nimmt bestimmte Verhaltensweisen an, und ist wirklich in die neue Heimat integriert. Man entwickelt Flexibilität und die Fähigkeit, auch mit Ungewohntem umgehen zu können. Die Effektivität und Produktivität der eigenen Arbeit steigt, da man sich klarer über die unterschiedlichen Rollenerwartungen ist.

So könnte es jetzt bleiben. Doch können auch im weiteren Verlauf des Auslandsaufenthaltes Phasen auftreten, die einen in eine der vorangegangenen Stufen zurück werfen – doch hat man mittlerweile in der Regel funktionale Strategien entwickelt, mit schwierigen Situationen umzugehen.

… und dann?

Handelt es sich bei dem Auslandsaufenthalt um eine begrenzte Zeit, steht nach einiger Zeit die Rückkehr ins Heimatland wieder an. Auch bei diesem Wechsel kann es zu einem Kulturschock kommen. Das Heimtückische an diesem „umgekehrten Kulturschock“ ist, dass man ihn zumeist nicht erwartet. Schließlich kennt man sein Heimatland doch! Man ist dort aufgewachsen, hat Erfahrungen im Alltag und im Berufsleben gesammelt, und hat oft auch Freunde und Familie dort. Da sollte die Rückkehr in die gewohnte Umgebung doch kein Problem darstellen – oder?

Doch die Zeit im Ausland hat dazu geführt, dass man sich selbst verändert. Gewisse Aspekte der eigenen Kultur, die man vorher nicht wahrgenommen hat, fallen einem jetzt unangenehm auf. Warum sind die Deutschen so penibel? Können sie nicht auch einfach lockerer lassen? Das funktioniert im Ausland doch auch! Man hat unbewusst Verhaltensweisen aus der Gastkultur angenommen und sich an die dortige Normalität gewöhnt. Und nicht selten stößt man mit diesen neuen Verhaltensweisen bei den Menschen in der Heimat an.

Je nachdem in welcher Position und in welchem Land man eingesetzt war, unterscheidet sich auch der Status, den man genießt. In vielen Ländern genießen Expats ein hohes Ansehen, das mit einem hohen Status einhergeht – ein Dienstwagen, oft ein Chauffeur, und Hausangestellte gehören in vielen Gegenden der Welt zum Standard ab einer gewissen Gehaltsstufe. In Deutschland fallen diese Privilegien häufig weg, auch die eigene Rolle im Unternehmen ist nicht unbedingt klar. Wie werden die Erfahrungen aus dem Ausland wert geschätzt? Welche Projekte betreut man? Auch dies kann Grund für massive Unzufriedenheit sein.

Und nicht zuletzt ist der Freundes- und Familienkreis unter Umständen nicht so intensiv an den Erfahrungen aus dem Ausland interessiert. Viele Rückkehrer berichten, dass das Umfeld schnell genervt reagiert, wenn man von seinen Erfahrungen berichtet. All dies kann dazu führen, dass man nach der Rückkehr in ein ähnlich tiefes Loch stürzt, wie beim ersten Kulturschock. Doch auch hier gilt: es ist ein sehr menschliches und normales Phänomen. Es ist nicht angenehm, doch die Auseinandersetzung mit den Erfahrungen aus dem Ausland und die Reflektion der Situation können dazu führen, ein besseres Verständnis für beide Kulturen und ein höheres Maß an interkultureller Kompetenz zu entwickeln.

Zu abstrakt? Vielleicht kann man sich den Kulturschock so vorstellen:

Stellen Sie sich vor, Sie haben Ihr ganzes Leben lang Fußball gespielt. Sie kennen die Regeln in- und auswendig, können Spielsituationen voraussehen, abschätzen, wie der Ball fliegt, und wissen in Standardsituationen, was zu tun ist. Sie können davon ausgehen, dass die anderen Spieler ebenfalls Bescheid wissen. Regelverstöße erkennen Sie gewissermaßen blind.

Nun kommen Sie in eine Gegend, in der alle nur Handball spielen. Auf den ersten Blick erkennen Sie die Gemeinsamkeiten – man versucht, Tore zu schießen. Doch das Spiel folgt einer ganz anderen Dynamik. Die Technik ist komplett anders, das Feld ist kleiner, das Tempo anders und damit verlieren Sie viel der Sicherheit, mit der Sie Fußball gespielt haben. Anfangs versuchen Sie vielleicht noch, die Ihnen bekannten Regeln umzusetzen, aber damit werden Sie nicht auf Gegenliebe stoßen. Doch mit der Zeit fangen Sie an, die neuen Regeln zu verstehen. Sie lernen, Situationen einzuschätzen und entsprechend zu reagieren. Es gelingt Ihnen sogar, Situationen so einzuschätzen, dass Sie irgendwann die ersten eigenen Tore werfen.

Schließlich haben Sie sich nach einer gewissen Zeit an die neuen Regeln gewöhnt. Vielleicht finden Sie manche Aspekte von Handball sogar besser als im Fußball, und wären dafür, diese auch im Fußball einzuführen.

Wenn Sie jetzt als solider Handballer zurück in Ihr Fußball-Leben kommen, so werden Sie gewiss feststellen, dass Sie die Regeln und Abläufe noch wissen – es ist ein bisschen wie Fahrradfahren, das verlernt man nicht. Doch vielleicht haben sich manche Regeln im Detail geändert, was Sie so nicht mitbekommen haben. Oder die Handball-Bewegungsmuster haben Sie jetzt so drin, dass die Reflexe hin und wieder stärker sind, und überwiegen? Sie werden wohl auf jeden Fall hin und wieder mit Ihren Fußball-Kollegen aneinander geraten. Evtl. hat man anfangs noch ein wenig Verständnis für Ihre Handball-Begeisterung, evtl. nervt es aber auch alle nur, und Sie sind nicht mehr der angesehene Spieler, der Sie vorher waren. Doch auch diese Phase wird vorüber gehen, und Sie werden sich wieder an die Fußball-Regeln gewöhnen.